Glücksbringer und Balsam bei Stress – die Mistel

Keine Pflanze ist zur Adventzeit so häufig auf Christkindls- und Weihnachtsmärkten zu finden wie die Mistel (viscum album). Aber auch Stechpalme, Tanne und Christrose schmücken den Wohnzimmertisch oder die Haustüre zur vorweihnachtlichen Zeit. Vor allem die Mistel, die schon bei den Kelten als „Allesheilende“ galt, könnte in der heutigen Zeit, in der fast niemand mehr Zeit hat, zum innehalten anregen. Vor allem in der traditionellen Kräuterheilkunde und in der Homöopathie spielt sie bis heute eine wichtige Rolle.

Besondere Erscheinung

Betrachtet man alle Namen, die je der Mistel zugesprochen wurden, so erhält man einen kleinen Hinweis auf ihre vielsagende Bedeutung: Allesheilende, heiliges Kreuzholz, Gespensterrute, Geisterzweig, Hexenbesen um nur ein paar zu nennen. Misteln wachsen sehr langsam und werden sehr alt. Auffallend ist ihre Wuchsform. Durch den regelmäßigen Zweigeteilten Wuchs ergibt sich ein Kreuzbild. Das macht diesen Halbschmarotzer zu einer besonderen Pflanze. Ihre weißen Beeren enthalten einen weißen, klebrigen Schleim, den die Vögel nach dem Fressen abzuputzen versuchen. Dabei heften sich die Samen mit dem Schleim am Baum fest und wachsen dort weiter, wenn die Bedingungen optimal sind. Sieben Jahre benötigt sie, um ihre schöne runde kugelige Gestalt zu bilden. In der Anthroposophie spricht man davon, dass auch der Mensch alle sieben Jahre ein neuer Lebensabschnitt beginnt. In der Signaturenlehre gilt dieser besondere Wuchs als „schutzmagische“ Wirkung. Hängt man sie deshalb im Allgäu noch heute an die Haustüre?


Glücksbringer aus der alten Zeit

Ein wunderschöner Brauch, der im Allgäu bis heute hält: Hängt ein Mistelzweig über der Haustüre, so darf der (männliche) Besucher die Hausfrau, die aus der Türe tritt, küssen. Vor einigen Jahren bekam ich von einem Waldarbeiter einen schönen Mistelzweig geschenkt. Kurzum band ich ein rotes Band darum und hängte ihn über die Haustüre. Ich war sehr überrascht, als ich ein paar Tage darauf von einem Bekannten einfach so geküsst wurde.

Ihr Bezug zur Winterzeit ist deutlich. So findet im Allgäu besonders in den Rau(ch)nächten die wilde Jagd statt, glaubte man früher. Deshalb traute sich niemand mehr des Abends aus dem Haus. Die Percht könnte die Seele holen und mitnehmen! Nur Auserwählte durften die Eichenmistel ernten. Der römische Geschichtsschreiber Plinius schrieb dies auf und ist bei Asterix, dem Gallier, nachzulesen. Zur Wintersonnwende war der richtige Zeitpunkt der Ernte, nur mit einer „goldenen“ Sichel und dies nur unter besonderen Ritualen. Keinesfalls durfte der Mistelzweig die Erde berühren, sondern musste sofort in ein weißes Tuch eingeschlagen werden. Sonst – verlor sie ihre Zauberkraft. Ein Opfergeschenk war selbstverständlich.
Die Verehrung dieser Pflanze wird dabei sehr deutlich.
Heute weiß man, dass gerade zu dieser Zeit in der Mistel die höchste Heilkraft steckt.

Die Zweige und Blätter enthalten unter anderem Viscin, Viscotoxin, Phenylpropane, Flavonoide, Saponine (Seifenstoffe), einen digitalesähnlich wirkenden Cholinester, einen blutdrucksenkenden Stoff, Vitamin C, Harze, Schleimstoffe und andere Substanzen.
Wir verdanken es Rudolf Steiner, der die Mistel in den 20iger Jahren als Therapeutikum in der Krebsbehandlung entdeckte. Mistelextrakte stimulieren die gegen den Tumor gerichteten Abwehrkräfte des Körpers. Die Substanzen stärken das Immunsystem und verbessern zumindest das Allgemeinbefinden und die Lebensqualität. Gerhard Madaus entwickelte ein schulmedizinisches Konzept für den Einsatz bei Krebserkrankungen. Seit 1930 wird die Wirkung verschiedener Substanzen in Mistelextrakten experimentell untersucht. Damals wusste man, dass frischer Mistelbrei die Zellvermehrung beeinflusst.
Heute werden Mistelextrakte in das Unterhautfettgewebe gespritzt. Anwendung findet die Misteltherapie als subkutane Injektion (dreimal wöchentlich) auch in der reinen Naturheilkunde bei: degenerativen Gelenkerkrankungen (Rheuma, Arthrosen), Krebserkrankungen, Folgeschäden nach Bestrahlung oder Chemotherapie und Infektabwehrschwäche. Keineswegs sicher ist, welche Mistelart die alten Kräuterkundigen der alten Zeit wirklich meinten. In unserer Gegend des Allgäus sieht man die Misteln vor allem auf Apfel- und Birnbäumen, manchmal auch auf Tannen. Es ist ein erfreulicher Anblick im Herbst, wenn die Blätter fallen, die versteckten Misteln zu entdecken.

 

Vielseitige Anwendungen in der traditionellen Heilkunde

Bis in die Antike zurück geht die Anwendung der Mistel bei Nervenleiden. Besonders „Fallsüchtigen“ (Epilepsie) wurde die Eichenmistel als Nahrungsmittel empfohlen. Paracelsus erwähnte: „Wenn sie eine Suppe essen, soll Viscus quercinus darin gekocht sein und man darf kein Salz hinzufügen.“ Traditionell wurde die Mistel bei Krampfleiden angewendet und das mit oft großem Erfolg, wie es scheint. Deutlich ist eine entspannende Wirkung, vor allem im Kopfbereich und den Bronchien. Das macht sie zu einem sehr aktuellen Heilkraut für die moderne Lebensweise. Ein Täschen Tee nach einem „spannenden“ und anspruchsvollen Arbeitstag lässt die Nerven und die Seele wieder erholen. Wichtig dabei ist aber, dass die Mistelblätter einige Stunden in kaltem Wasser eingeweicht werden, ein sogenannter Kaltauszug. Kalt oder leicht erwärmt in kleinen Schlucken getrunken, bedeutet auch, sich Zeit nehmen für sein inneres, seelisches Gleichgewicht. Es täte uns allen gut, abzuschalten vom „erreichbar sein müssen, vom erledigen müssen und der Reizüberflutung unserer 24-Stunden-Medien. Bei genauer Betrachtung erscheint hier die Mistel als Kardinalsmittel für alle Stresskrankheiten. Eine gute Ergänzung finden wir in Lavendel, Zitronenmelisse und Eisenkraut. Dies gäbe uns in dieser oft herzlosen, dauergepowerten Zeit einen wahren Schutz für unsere Seele.

Seit Urzeiten wird sie kultisch verehrt, sonst hätte sie sich wahrscheinlich nicht bis in unsere heutige, moderne und entmystifizierte Zeit halten können. Die getrocknete, goldfarbene Mistel hat keinen starken Eigengeruch und kann sehr gut mit Beifuß. Wacholderbeeren, Eisenkraut und trockenem Fichtenharz verräuchert werden. Probieren sie es auch und spüren sie hin, wenn ihnen diese heimischen Pflanzen die Botschaft des Lichtes und der Zuversicht bringen. Gerade in der dunklen Zeit um die Jahreswende.


Ó Gerti Epple
Allgäuer Wildkräuterfrau
www.wildkraeuterfrau.info